(von Patrycja Kowalska)
Am 12.Juli 2022 sprechen bei einer Podiumsdiskussion im Regensburger DGB-Haus unter dem Titel „6 Jahre nach dem rechten Anschlag am OEZ – vergessene Opfer?“ Gisela Kollmann, Oma von Guiliano Kollmann der beim OEZ-Anschlag ermordet wurde, Alexander Diepold, Vertreter von Madhouse, einer Beratungsstelle die Rom*nja und Sint*ezza Familien unterstützt, Robert Andreasch, Journalist und Teil des Antifaschistischen Dokumentations- und Informationsarchivs A.i.d.a. München, sowie Matthias Schmidt-Sembdner, Berater bei BEFORE der Münchner Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt.
Zur Begrüßung des Hauses spricht die Gewerkschaftlerin Katja Ertl in Regensburg und entschuldigt sich stellvertretend bei den Betroffenen, dass die Regensburger Zivilgesellschaft bisher nicht aktiv am Gedenken des rechten OEZ-Anschlags teilgenommen hat. Michael Bothner, lokaler Journalist, der die Veranstaltung moderiert, stellt drei zentrale Fragen an den Anfang: “Warum tun wir uns als Gesellschaft so schwer mit einem der schlimmsten Anschläge der letzten Jahrzehnte? Und damit auch mit den Opfern einen würdevollen Umgang zu finden? […] Warum ist es so schwer zu akzeptieren, dass es ein rechter Anschlag war?“ Um diese Leitfragen dreht sich die Veranstaltung.
Gisela Kollmann die als erstes das Wort ergreift, mahnt: „In München ist es so, dass keiner mehr weiß, was am 22.07 passiert ist. Jeder spricht von Amoklauf. Es war kein Amok.“ Dass der Anschlag am Olympia Einkaufszentrum in München nicht als rechter, rassistischer Anschlag eingeschätzt wurde, bekamen Sie als betroffene Familienangehörige sofort zu spüren. Gisela Kollmann beschreibt ausführlich, wie Sie von den Behörden im Stich gelassen wurden. Wie unglaublich unsensibel, respektlos und rassistisch die Polizeibeamten in der Mordnacht mit Ihr umgegangen sind. Die Beamten trieben es so weit mit der Befragung in der Tatnacht, dass Gisela Kollmann diese aus ihrer Wohnung werfen musste. Kollmann beschreibt auch wie Sie versuchte ihren Enkelsohn zu finden, während Sie von Wache zu Wache fuhr und immer weiter geschickt wurde. „Wir wurden zur Gerichtsmedizin geschickt. Die Familie Rafael war auch vor Ort. Dann wurde gesagt: Der Arzt ist beim Mittagessen, der fängt erst danach an. Das haben Sie zu uns gesagt. Zu uns, als Betroffene. Ich konnte dann durch fragen herausfinden, dass wir am 23. Juli 2016 um 18 Uhr eine Verabschiedung haben mit meinem Enkelsohn am Friedhof. Das war das schlimmste was man mir je antun konnte. […] Immer dieser Rassismus. Dieser Umgang war für mich das schmerzhafteste. Wir sind Roma, wir sind Sinti oder auch Türken – egal – es kann doch nicht sein, dass die Polizei so mit uns umgeht. Wir haben ein Herz für unsere Kinder!“
Matthias Schmidt-Sembdner, Vertreter der Beratungsstelle BEFORE berichtet über die Tragweite dieser Behandlung durch die Behörden und Stadt: „München labelt sich selbst als sichere Stadt. Das war ab dem Moment vorbei. Viele der Betroffenen meiden bis heute die Öffentlichkeit und können nicht einmal mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren.“ Zur Trauma-Sensibilität führt Schmidt-Sembdner zusätzlich aus: „Wir sprechen bewusst nicht mehr von Trauma-Verarbeitung. Denn darin schwingt immer mit, dass es ein Prozess ist, der zu Ende gehen kann. Dem ist nicht so. Es geht um eine Bearbeitung, bei der es stabilere und weniger stabile Phasen gibt, deswegen braucht es eine kontinuierliche Unterstützung.“ Nicht alle Betroffenen und Überlebenden sind bei BEFORE in der Beratung. Es gibt auch unterschiedliche Vorstellungen was würdiges Gedenken ist, aber es gibt unter allen „einen gemeinsamen Nenner: Anerkennung und kein Vergessen.“ Die langfristige Unterstützung der Betroffenen ist elementar macht Schmidt-Sembdner klar: „Es gibt Fragen, die sich erst später stellen. Beispielsweise wer kümmert sich denn um das Grab, wenn wir als Angehörige nicht mehr können, nicht mehr da sind. Das heißt es kommen Jahr für Jahr neue schwere Themen hinzu.“ Die Angehörigen fordern von der Stadt München deswegen eine Zusage der Verantwortungsübernahme, ähnlich wie es die Stadt Hanau mit den Ehrengräber für die Ermordeten des Anschlags getan hat. Gisela Kollmann macht eine weitere zentrale Forderung der Angehörigen stark: „Der MC Donald gehört weg. Abgerissen! Oder Sie sollen ein Denkmal für unsere Kinder rein machen, die da drin ums Leben gekommen sind. Aber nicht darin noch essen und trinken. Das geht nicht. Das ist meine Anklage!“ Bis heute erinnert nichts an den Ort an dem fünf Kinder ermordet und ein Kind schwer verletzt wurde.
Alexander Diepold erzählt über den langwierigen Kampf den Anschlag als rechten, rassistischen und antiziganistischen Terror anzuerkennen, den auch er an der Seite der Angehörigen, vorantrieb. „Der Täter sprach von ´München Reinigung´. Der Täter hat bewusst die Opfer ausgewählt. In seiner Schießwut hat er noch selektiert wen er treffen wollte.“ Für Diepold ist bereits nach wenigen Stunden klar: Das war rechter Terror, denn ihm war schon bekannt, dass zwei wie Diepold sagt „von unseren Leuten“ ermordet wurden. Guiliano Kollmann war Sinto und Roberto Rafael Rom. Wichtig war ihm auch zu erwähnen, dass bei Guiliano auch ein heldenhafter Ersthelfer Unterstützung leistete. Diepold erzählt: „Es gab einen türkischen Mitbürger, der sich auf Guiliano geworfen hat und versucht hat seine Wunden zu stillen.“ Später wird Gisela Kollmann hierzu sagen: „Hüseyin hat mein Kind nicht allein sterben lassen. […] Das ist nicht geehrt worden. Jeder andere hätte schon eine Ehren-Medaille bekommen. Wir nicht, denn wir sind Ausländer.“ Alexander Diepold wundert es nicht, dass die Behörden und Gesellschaft sich schwer tun rechte Gewalt anzuerkennen. Gerade bei antiziganistischer Gewalt herrscht nicht nur ein großes Schweigen vor, sondern eine aktive Verkennung. „Am zweiten November 2016 gab es einen weiteren Anschlag auf drei Roma, auf welchen medial überhaupt nicht eingegangen wurde. Drei Menschen sind dabei durch Brand zu Tode gekommen.“ Als 2016 in Georgensgmünd jedoch ein Polizist von einem Reichsbürger ermordet wird, weist Diepold darauf hin, dass die Polizei sehr wohl in der Lage war sogar Trauma sensibel vorzugehen, da auch Psycholog*innen herangeholt wurden. Diepold spannt an der Stelle einen größeren Bogen zur Ignoranz des Völkermords an Rom*nja und Sint*ezza im Nationalsozialismus. Die schleppende Aufarbeitung wirkt bis heute nach.
Alexander Diepold stellt fest, dass sich die Stadt München mit der Anerkennung rechten Terrors schwer tut. Auch beim Oktoberfestattentat wurde von einem psychisch labilem Einzeltäter gesprochen, anstatt vom rechtsterroristischen Netzwerk der Wehrsportgruppe. Er führt aus: „Ein Amoklauf entlastet München. Denn ein Amokläufer ist ein Einzeltäter. Das entlastet die Stadt. Aber in dem Moment, ab dem es sich um einen rechtsterroristischen Anschlag handelt, ist die Stadt in der Verantwortung.“ Hervor hebt er Marian Offmann, den jüdischen Stadtrat, der die Gutachten über die rechte Tatmotivation beim OEZ-Anschlag auf den Weg gebracht hat. Diese bestätigten letztlich das was die Betroffenen schon lange wussten: Der Anschlag am OEZ war rechter Terror. Offmann setzte sich ein, Offmann so erinnert Diepold, dessen eigene Familiengeschichte ebenso vom Holocaust geprägt war, wie die der Familie Kollmann.
Auch Matthias Schmidt-Sembdner macht die Bedeutung vollumfänglicher Aufklärung für die Betroffenen deutlich: „Für die Betroffenen handelt es sich nicht um eine abstrakte Frage der Wahrheitsfindung. Sondern um die Frage ob wirklich aktiv versucht wird Leute und Netzwerke, die dahinter stehen aufzudecken, denn die bedeuten eine andauernde Gefahr für die Betroffenen. […] Aus Betroffenenperspektive steht dahinter also ein ganzer Komplex aus Fragen, Ängsten und Sorgen, aber auch Wut dabei.“
Robert Andreasch der sich beruflich mit der Täterperspektive auseinandersetzt freut sich, dass gerade bei dieser Veranstaltung auch die Betroffenenperspektive so zentral steht. Aber auch er geht ausführlich darauf ein, wieso eine Individualisierte Betrachtung eines Täters sinnlos bis gefährlich ist: „Individualisieren wir die Tat im Täter und tun so als hätten wir nichts damit zu tun? Oder stellen wir fest, dass der Täter dieser Gesellschaft entspringt, die stabil seit 100 Jahren rechte Täter*innen, Ideologien und Strategien hervorbringt. […] Eine der zentralen Strategien der Rechten ist es unheimliches Leid anzurichten, brutale Gewalt auszuüben.“ Andreasch betont also einen gesellschaftlichen Blick auf die Tat und weist außerdem darauf hin, dass die überwiegende Mehrheit solcher Täter männlich sozialisiert ist. Das Problem im Diskurs um den OEZ-Anschlag macht er daran fest, „dass die Entpolitisierung der Tat dazu geführt hat, dass gar nicht mehr über den Anschlag gesprochen wurde. Man hätte stattdessen über Mobbing oder die Online-Vernetzung rechtsterroristischer Täter reden können. Hat man ja auch nicht. Man hat nicht nur die gesellschaftspolitische Dimension ausgeklammert. Man hat gar nicht mehr darüber gesprochen. In einer Stadt die gar nicht darüber redet, in einem Land, dass der Debatte über rechte Gewalt und rechten Terror aus dem Weg geht, da stören die Betroffenen und Überlebenden.[…] Sie erinnern einen jeden Tag daran dass es rechte Gewalt und rechten Terror gibt, dass man es nicht in den Griff kriegt und das wir die betroffenen Minderheiten und auch andere Angegriffene nicht schützen können.“
Andreasch betont, obwohl der Täter allein geschossen hat, war er kein Einzeltäter. Insbesondere Online hat der Täter sich vernetzt, radikalisiert und intensiv ausgetauscht weltweit über rechtsterroristische und Amok-Taten. Auch in Robert Andreaschs aktuellen Recherchen wird gegenseitige Bezug deutlich: „Ich schaue derzeit rechtsterroristsche Chat-Kanäle durch und da ist der Täter von München ein Vorbild. Dort wird er abgefeiert als `non-white hero´.“ Auch die deutsch-iranische Herkunft des Täters wurde im Diskurs als Hindernis für rechten Terror gesehen, obwohl dieser einen klar „rassistisch-verschwörungsideologischen Text hinterlassen hat“ mit starken Bezug auf den Nationalsozialismus, so Andreasch. Daher folgert er , dass nach dem Anschlag bei umfassender Ermittlungsarbeit ein Nachfolgetäter gefunden worden wäre. Nämlich der Nachfolgetäter der mit dem Münchner Täter in Kontakt stand und nach seinem Vorbild in Santa Monica zwei Menschen ermordete. Aber bereits vor dem Anschlag am OEZ gab es ein versuchtes Attentat bei dem ein Täter in Rheinland-Pfalz eine Schulklasse mit Waffengewalt im Kino bedrohte. Andreasch stellt fest: „Und wäre man da der Vernetzung dieses Täters nachgegangen, wäre man auf den Münchner Attentäter gekommen.“ Darüber hinaus wurde auf der Pressekonferenz zum OEZ-Anschlag ein politischer Hintergrund verneint, obwohl in internen Berichten die politische Motivation erkannt wurde. „Das ist eine bewusste Entpolitisierung des Anschlags in der Öffentlichkeit gewesen“ , so Robert Andreasch.
Daraus schließt das Podium gemeinsam: Erinnern bedeutet Aufklären und Konsequenzen. Gisela Kollmann wünscht sich Gerechtigkeit. Sie fordert alle auf sich am Trauermarsch am 22.07.2022 zu beteiligen und gemeinsam für Aufklärung und Konsequenzen zu kämpfen. Sie sagt: „Wir als Hinterbliebene müssen zusammenhalten und ich wünsche mir, dass wir jedes Jahr gemeinsam unsere Kinder ehren.“ Auch Matthias Schmidt-Sembdner hebt die Bedeutung der stärkenden Vernetzung von Betroffenen hervor, die zuletzt im Rahmen des Tribunals NSU-Komplex Auflösen stattgefunden hat. Er folgert, dass aus dieser Stärkung erstmals in München eine noch breitere Unterstützung der Betroffenen seitens der Zivilgesellschaft gibt und das sogar bundesweit. Er führt aus: „Es sind die Betroffenen die schon immer wahnsinniges leisten, Mut aufbringen, in die Nebenklage gehen, Öffentlichkeitsarbeit machen. Und dafür müssen wir unglaublich dankbar sein.“ Andreasch erinnert, dass auch linke Gruppen versuchten die Einordnung als rechten Terroranschlag zu unterstützen. Alexander Diepold folgert aus der Diskussion, dass „Betroffene quasi als Seismographen“ der Gesellschaft den Handlungsweg anzeigen.
Unser Weg für den 22.07.2022 ist klar: Lasst uns gemeinsam an Armela, Can, Dijamant, Giuliano, Hüseyin, Roberto, Sabine, Selçuk und Sevda erinnern. Lasst uns München erinnern!