„Das ist die Geschichte von München. Aber nicht nur.
Das ist auch die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.“
(Hasan Leyla)

Was ist am 22. Juli 2016 passiert?

Am 22. Juli 2016 ermordete ein rechter, rassistischer Täter am und im Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) in München Armela Segashi, Can Leyla, Dijamant Zabërgja, Guiliano Kollmann, Hüseyin Dayıcık, Roberto Rafael, Sabine S., Selçuk Kılıç und Sevda Dağ.

Über einen gefakten Facebook-Account hatte der Täter versucht, Jugendliche zu einem Treffen am Nachmittag des 22. Juli in den McDonalds gegenüber des OEZ einzuladen. Niemand war dieser Einladung gefolgt. Der Täter ging trotzdem in den McDonalds und erschoss dort fünf Jugendliche. Auf der Straße vor dem Restaurant und im OEZ ermordete er vier weitere Menschen. Fünf Menschen wurden durch Schüsse schwer verletzt.

Das OEZ, eine Shopping-Mall und ein beliebter Treffpunkt gerade für Jugendliche, wählte der Täter bewusst aus. Die Journalistin Nabila Abdel Aziz, die selbst in München Moosach, in der Nähe des Anschlagsortes, aufgewachsen ist, sagt über die Bedeutung des OEZ in ihrer Jugend: „Für uns war es damals ein Rückzugsraum, viele Menschen aus dem Viertel gehen dorthin, viele nicht-weiße Menschen, viele mit Migrationgeschichte. Es ist ein Ort, an dem man deutlich sieht, wie vielfältig unsere Gesellschaft ist.“

Nicht nur für viele Menschen im Viertel, die selbst von Rassismus betroffen sind, war sofort klar, dass die Tat gegen sie gerichtet war.

Auseinandersetzung um die Einordnung der Tat

Seine extrem rechte, rassistische Überzeugung brachte der Täter nicht zuletzt auch durch das Datum zum Ausdruck, an dem er den Anschlag verübte. Fünf Jahre zuvor, am 22. Juli 2011 hatte ein rassistischer Täter in der norwegischen Hauptstadt Oslo und auf der nahe gelegenen Insel Utøya insgesamt 77 Menschen, überwiegend Jugendliche, ermordet.

Indessen bezeichnete die Polizei, ohne die Ermittlungsergebnisse abzuwarten, schon unmittelbar nach dem Geschehen die Tat als einen Amoklauf. Diese Deutung erwies sich bis heute als äußerst wirkmächtig. Das politische – extrem rechte und rassistische – Motiv der Tat wurde somit lange ignoriert oder bagatellisiert. Dies trug entscheidend dazu bei, dass der Anschlag noch immer kaum erinnert wird und häufig unerwähnt bleibt, wenn über rechten Terror in Deutschland gesprochen wird. „Wenn angesichts der rassistischen Strukturen in der Gesellschaft und auch bei der Polizei bei einer solchen Tat von Amoklauf gesprochen wird, ist das ein Angriff auf unser Recht, hier friedlich zu leben“, sagt Samet Leyla, Cousin und Patenonkel von Can Leyla.

Zudem führte das Ausblenden des extrem rechten Hintergrunds der Tat dazu, dass entsprechende Ermittlungen nicht erfolgten – beispielsweise in Bezug auf die Gaming-Plattform, über die sich der Täter im extrem rechten Milieu vernetzte. Eine sorgfältige Ermittlung dieser Verbindungen hätte möglicherweise weitere Anschläge wie die in Halle und New Mexico verhindern können.

Erst nach über drei Jahren, im Oktober 2019 wurde der rechte, rassistische und antiziganistische Hintergrund der Tat am OEZ von staatlicher Seite anerkannt – obwohl und nur weil Betroffene und Angehörige von Anfang an dafür kämpften. Trotzdem ist der Anschlag auch in München kaum im öffentlichen Erinnern präsent.

Die Missachtung der Überlebenden und Angehörigen und ihrer Kämpfe

Die Missachtung der Wahrnehmungen und Bedürfnisse der Überlebenden und Angehörigen durch Behörden, aber auch durch große Teile der Gesellschaft begann schon unmittelbar nach der Tat. Das spiegelte sich nicht nur in der vorschnellen polizeilichen Kategorisierung des Anschlags als „Amoktat“, sondern kam vor allem auch darin zum Ausdruck, wie die Betroffenen in ihrem Schock und ihrer Trauer durch Polizei und Behörden behandelt wurden. Den Tatabend verbrachten sie stundenlang voller Angst mit verzweifelten Versuchen, Informationen über das Schicksal ihrer Angehörigen zu bekommen, die sie von der Polizei jedoch erst in den frühen Morgenstunden oder noch später erhielten. Mit der schrecklichen Nachricht wurden sie dann einfach allein gelassen.

„Die Polizei taugt nix“, sagt Gisela Kollmann, die Oma des ermordeten Guiliano Kollmann im Hinblick auf die Erfahrungen, die sie in der Folge des Anschlags machen musste. Die erste Frage, mit der sie und ihre Familie konfrontiert wurden, als ein Polizist sie „frech und abgebrüht“ über den Tod ihres Enkels informierte, lautete, was Guiliano eigentlich am OEZ gemacht habe. Auch in den folgenden Tagen warteten nicht nur die Kollmanns, sondern auch die Angehörigen aller weiteren Opfer vergeblich auf Mitgefühl, angemessene Anerkennung für ihre Trauer sowie professionelle Betreuung und Unterstützung durch Behörden und Politik.

In den Jahren nach dem Anschlag verbreitete sich in der Stadt eine „unerträgliche Stille“, so Cans Mutter Sibel Leyla, die bis heute anhalte. Eine breite politische und gesellschaftliche Solidarität mit den Betroffenen und ihren Kämpfen um Anerkennung, Aufklärung und Erinnerung blieb aus.   Im öffentlichen Erinnern nicht nur in München fehlen bislang die Namen der Opfer und es fehlt das Wissen um das rechte, rassistische und antiziganistische Motiv des Anschlags. Das heißt auch, dass eine Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Bedingungen, die diesen ermöglichten, ausbleibt.

Bisher fehlt auch die Solidarität der Münchner Stadtgesellschaft mit den Angehörigen und Überlebenden. „Wir wünschen uns, dass München auch jetzt noch – im Erinnern und Aufklären der Tat – zusammensteht wie es am 22.7.2016, in der Tatnacht zusammengestanden ist“, fordert Guilianos Vater Rudolf Kollmann.