24.10.2024:
Heute vor fünf Jahren erkannte das Bayerische Innenministerium an, dass es sich bei dem Anschlag am OEZ, bei dem Armela Segashi, Can Leyla, Dijamant Zabërgja, Guiliano Kollmann, Hüseyin Dayıcık, Roberto Rafael, Sabine S., Selçuk Kılıç und Sevda Dağ ermordet wurden, um rechten Terror handelte. Drei Jahre und drei Monate nach der Tat. Dies ist der Erfolg eines zähen Kampfes um die Deutung des Anschlags, bei dem Angehörige und Betroffene eine wichtige Rolle spielten. Doch damit ist das Kapitel nicht abgeschlossen. Im Gegenteil.
Noch immer ist nicht geklärt, wie es zu dieser entpolitisierenden Einschätzung kam. Noch immer ist nicht klar, welche Ermittlungen deswegen unterblieben. Und noch immer ist nicht klar, welche Konsequenzen nach der Einordnung des Anschlags als politisch motivierte Kriminalität gezogen wurden und werden müssen. Es geht hier nicht um Schuldzuweisung. Es geht um Verantwortung. Es geht darum, alles dafür zu tun, solche Taten in Zukunft zu verhindern.
Warum dauerte die Einordnung als rechter, rassistischer Anschlag so lange?
Eine kurze Zusammenfassung und welche Fragen sich für uns daraus ergeben.
Noch in der Tatnacht spricht die Polizei München von Terror als Tatmotiv. Der Anschlag am OEZ fand ca. eine Woche nach dem islamistischen Anschlag in Nizza statt. Wenige Tage zuvor hatte in Würzburg ein offensichtlich islamistisch motivierter Täter in einer Bahn Menschen mit einer Axt schwer verletzt. Der Fokus der Polizei lag bei der Terroreinstufung in der Tatnacht mit hoher Wahrscheinlichkeit auch wegen dieser vorhergehenden Ereignisse ausschließlich auf islamistischem Terror. Darauf verweist das Statement des damaligen Polizeipräsidenten Hubertus Andrä bei der Pressekonferenz am 23.7.2016. Er machte deutlich, der Täter habe keinen Bezug, in seinen Worten „zum Thema Flüchtlingen“ und auch nicht zum IS. Über rechte und rassistische Motive der Tat sagte er nichts.
Obwohl die Polizei bei dem Täter auch Material gefunden hatte, das auf sein rechtes und rassistisches Weltbild hinwies, gewichtete sie dies nicht als tatauslösend. Der Täter hatte seine Festplatte kurz vor der Tat bereinigt und nur ein einziges Dokument platziert mit dem Titel „Ich werde jetzt jeden deutschtürken auslöschen egal wer.doc“. Zusätzlich fand die Polizei weitere Belege, die auf ein rechtes und rassistisches Tatmotiv hinwiesen, diese wurden jedoch als weniger bedeutsam eingeordnet und die Tat als Amoklauf deklariert. Damit sprachen die Ermittlungsbehörden der Tat aktiv den politischen Hintergrund ab, obwohl ausreichend Indizien dafür vorlagen. Im Abschlussbericht der Ermittlungsergebnisse der Sonderkommission (SOKO) OEZ im März 2017 heißt es:
„Alle beteiligten Stellen kamen übereinstimmend zu der Bewertung, dass nicht eine politische Motivation tatauslösend war, sondern in der Gesamtbetrachtung die Auswahl der Opfer durch den Täter dem persönlichen, aber verallgemeinerten Feindbild der ehemaligen Mobber geschuldet sein dürfte.“
Die Ermittlungsbehörden gingen also davon aus, dass der Täter sich bei der Auswahl der Opfer stellvertretend an den Menschen rächen wollte, die ihn früher gemobbt hätten. Die Behörden – von bayerischem Verfassungsschutz bis Landeskriminalamt – bestätigten sich somit gegenseitig in ihre Bewertung der Tatmotivation als stellvertretende Rache eines Mobbing-Betroffenen. Sie schrieben damit die Dethematisierung des politischen Hintergrunds der Tat öffentlich fest, die bis heute Nachwirkungen hat.
Ausgelöst durch die Intervention von Angehörigen und vereinzelten Politiker*innen gab die Fachstelle für Demokratie der Stadt München drei Gutachten in Auftrag, die alle unabhängig voneinander zu der Einschätzung kamen, dass es sich um rechten Terror handelte. Matthias Quent, einer der Gutachter, zeigt auf, dass die Ermittlungsergebnisse der SOKO OEZ sogar der vom Innenministerium selbst fest gelegten Definition von politisch motivierter Kriminalität (PMK) widersprechen. Diese priorisiert die Tatorientierung (Tatmotiv, Tatdurchführung) und nicht die psychologische Disposition der Täter. Hasan Leyla, Vater von Can: „Es muss doch vom ersten Moment an klar gewesen sein. Schauen Sie sich doch nur die Namen der Opfer an.“ Dazu kamen noch weitere Indizien, die auf das rechte und rassistische Tatmotiv hinwiesen, wie z.B. die positive Bezugnahme auf den Täter des rechten Anschlags in Oslo und Utøya.
Nachdem die Gutachten der Fachstelle im Herbst 2017 vorgestellt worden waren, gab das bayerische Innenministerium selbst ein Gutachten in Auftrag, in dem die Amokthese untermauert wurde. Warum, so fragen wir, war es dem Bayerischen Innenministerium so wichtig, an der Amokthese festzuhalten? Warum wollte es die Ergebnisse der drei wissenschaftlichen Gutachten der Stadt München nicht anerkennen? Warum nahm es die Einschätzungen von Angehörigen und Betroffenen nicht ernst?
Im Januar 2018 wurde im Prozess gegen den Waffenhändler, welcher dem Täter des OEZ-Anschlags, die Waffe und mehrfach Patronen lieferte, ein Urteil gesprochen. Der Prozess erbrachte zwar nicht die Erkenntnisse, die sich die als Nebenkläger*innen auftretenden Angehörigen gewünscht hätten. Jedoch folgerte der Richter in seinem Urteil auch es gäbe, „nicht den geringsten Zweifel, dass die Tat rassistisch motiviert“ war. Er hielt fest, der Täter habe dieselbe rechte Gesinnung gehabt wie der Waffenhändler. Diese Einordnung im Urteilsspruch, verbunden mit den drei Gutachten der Stadt München führte dazu, dass bereits im Frühjahr 2018 das Bundesministerium für Justiz den Anschlag am OEZ offiziell als rechte und rassistische Tat anerkannte. Es sollte noch 1,5 Jahre dauern, bis das bayerische Innenministerium dieser Einordnung folgte. Auch hier stellt sich nur eine Frage: Warum?
Am 7. Oktober 2017 erschoss ein Täter in der Aztec Highschool in New Mexico die beiden 17jährigen Schüler Francisco „Paco“ Fernandez and Casey Jordan Marquez. Die Ermittlungen in den USA zeigten, dass der Täter in New Mexico über die Spieleplattform Steam mit dem Täter von München in einer rassistischen und rechten Gruppe Kontakt vernetzt und mit ihm verbunden war. Nur durch Zufall gelangte diese Information, die zunächst in den USA in einer Lokalzeitung veröffentlich war, im Frühjahr 2018 durch eine wissenschaftliche Recherche an die deutsche Öffentlichkeit. Es stellte sich heraus, dass das Bundeskriminalamt schon kurz nach der Tat in New Mexico informiert war, diese Information aber nicht an das LKA Bayern weitergegeben hatte, obwohl in Bayern noch die Ermittlungen liefen. Wir fragen: Warum? Warum wurde diese Information nicht sofort weitergegeben? Und: Warum hat das LKA Bayern nicht von Anfang selbst bei Steam ermittelt. Das LKA wusste schon kurz nach dem Anschlag am OEZ, dass der Täter bei Steam intensiv aktiv war. In Recherchen der Abendzeitung München 2018 heißt es: „Kurz nach dem Anschlag in München veröffentlichte der US-Amerikanische Täter einen Nachruf, in dem er den Münchner Täter feierte. […] Wenn die AfD und andere rechte Gruppen in Deutschland an die Macht kämen, werde man dem „Helden“ ein Denkmal setzen, der ein „wahrer Arier“ und „wahrer Deutscher“ gewesen sei.“
Diese neuen Informationen über die Verbindung des Münchner Täters zu internationalen rechten, rassistischen und gewaltbereiten Personen über Steam veranlassten den Innenausschuss des Bayerischen Landtags im Juni 2018 dazu, erneut das Innenministerium zu einer Überprüfung seiner Einschätzung der Tat als Amoklauf aufzufordern. Der Beschluss wurde einstimmig, also auch mit den Stimmen der CSU-Mitglieder im Innenausschuss, gefällt. Es dauerte noch über ein Jahr, bis der Abschlussbericht am 24.Oktober 2019 vorgestellt wurde. In diesem kam das CSU-geführte Innenministerium zu folgender Einschätzung: „Die Tat wird daher vor dem Hintergrund des Motivationsbündels, welches sowohl Anhaltspunkte für das tatleitende Motiv der Rache als auch einer rechten Orientierung u. a. enthält, nach abschließender Würdigung aller Umstände als Politisch Motivierte Gewaltkriminalität -rechts- eingestuft und im Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch Motivierter Kriminalität ausgewiesen.“
In dem Podcast „Rechter Terror am OEZ“ von Nabila Abdel-Asiz sagte Innenminister Joachim Herrmann auf die Frage, wie es zu der Neueinstufung letztendlich kam, es habe ihm dann irgendwann gereicht mit dem Hin und Her. Letztendlich ginge es um die Gewichtung und er habe dann die rechte und rassistische Haltung des Täters etwas höher gewichtet. Zur Erinnerung: Im Oktober 2019 erschien der Bericht des bayerischen Innenministeriums, am 2.Juni 2019 wurde der CDU-Politiker Walter Lübcke von einem rechten Täter ermordet, am 9. Oktober 2019 begann ein Rechtsterrorist seinen Anschlag an der Synagoge in Halle und erschoss Jana L. und Kevin S..
2019 gab es im öffentlichen Diskurs somit eine hohe Sensibilität für rechten Terror, was den Druck auf die bayerische Staatsregierung erhöht haben dürfte.
Doch für uns stellt sich die Frage: Darf die Einschätzung als rechter Terror vom politischen Klima abhängig sein? Braucht es immer erst weitere Tote, damit rechter Terror ernst genommen wird? Wo war diese Sensibilität im Jahr 2016? Immerhin fand zu dieser Zeit der Prozess gegen die Angeklagten des NSU-Komplexes statt. Hat Deutschland so ein kurzes Gedächtnis hinsichtlich der Existenz von rechten, rassistischen und antisemitischen Aktivitäten und Gewalttaten?
In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung antwortete der damalige Polizeipräsident Hubertus Andrä auf die Frage, was die Polizei aus dem Anschlag am OEZ gelernt habe, sie brauche mehr Ausrüstung. Wir sagen, dass Problem liegt, nicht in der Ausrüstung. Auch die Ermittlungen beispielsweise zum Oktoberfestattentat und den Morden des NSU zeigten strukturelle Probleme und institutionellen Rassismus. Einzeltäterthesen, Entpolitisierungen und Pathologisierungen der Täter sowie rassistische Täter-Opfer-Umkehr dominieren den polizeilichen Modus Operandi. Wir denken, hier müsste die Polizei ansetzen, um weitere rechte, rassistische und antisemitische Anschläge zu verhindern.
Mit der staatlichen Anerkennung des Anschlags als sogenannte „politisch motivierte Kriminalität von rechts“ wurde nach zähem Ringen ein wichtiger Schritt erreicht. Doch das Kapitel zur Aufarbeitung des OEZ-Anschlags ist damit nicht abgeschlossen. Für die Angehörigen der Ermordeten und Überlebenden fühlt es sich an wie ein Beschluss im Hinterzimmer. Es wurde nicht genug dafür getan, die öffentliche Wahrnehmung zum 22.Juli 2016 zu ändern. Immer noch dominieren die von der Polizei kurz nach der Tat gesetzten Deutungen. Nur durch die beständigen öffentlichen Kämpfe der Angehörigen und Überlebenden, die auch in die Gründung der Initiative München OEZ Erinnern mündeten, verändert sich dieses Narrativ. Der Anschlag am OEZ war rechter Terror!
Die Angehörigen der Opfer und Überlebenden des Anschlags haben noch viele Fragen. Bisher gibt es keine Anzeichen, dass diese Fragen Gehör finden, geschweige denn Antworten. Diese aber brauchen die Angehörigen der Ermordeten, die vielen Überlebenden und weiteren Betroffenen dieses Anschlags. Sie brauchen Aufklärung, um diese Tat verarbeiten zu können. Es braucht Antworten, um Veränderungen anzustoßen und weitere Anschläge zu verhindern. Das sollte auch im Interesse von Politik und Polizei sein.
Fünf Jahre nach der Anerkennung des Anschlags am OEZ als rechte und rassistische Tat. Es wird Zeit für Antworten.